Alexandra Hessler, Dr. & Christoph Köck, Dr.

Hessler und Köck

Ethnologie & Erwachsenenbildung

Dr. Alexandra Hessler: Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, beschäftigt sich mit Bildungsthemen aus interdisziplinärer Perspektive und ist als freiberufliche Referentin und Beraterin für Erwachsenenbildungsorganisationen tätig.

Dr. Christoph Köck: Kulturwissenschaftler, Direktor des Hessischen Volkshochschulverbandes, befasst sich mit Bildungspolitik und Bildungskonzepten des Lebenslangen Lernens.


Kapitel: “Lebensbegleitendes Lernen und Endlichkeitspädagogik”


Institutionengeschichtlich betrachtet kommt heute unseren öffentlich verantworteten Bildungsorganisationen eine Rolle zu, die ehedem in der christlich dominierten Gesellschaft den Kirchen oblag: die „offizielle“ Verankerung und Begleitung des „Guten Lebens“. Der Unterschied zwischen den Institutionen ist dennoch gravierend: während die Kirchen ihr Konzept des Guten Lebens als diesseitigen Qualifizierungsprozess im Hinblick auf ein unendliches Jenseits manifestierten, gilt es für die Bildungsorganisationen, den Menschen einen lebenslangen Lernprozess zu gestalten, der möglichst lebensweit (für alle Alltagssituationen) und lebensumspannend (vom Kleinkindalter bis in das höchste Lebensalter) reicht. Das Konzept des Lebenslanges Lernens ist dabei qua Definition mit einem (unausgesprochenen) Bedrohlichkeitselement verwoben: es verdeutlicht uns, dass wir im Hier und Jetzt tatsächlich endlich sind. Diese äußere Bedrohung, die die Hoffnung auf das Jenseits ausschließt, setzt – analog zu Norbert Elias Zivilisationstheorie – eine Selbstzwangapparatur in Gang, die dazu führt, die „Zeit, die man hat“ und „die einem bleibt“ möglichst radikal erfüllend zu nutzen. Dazu ist es notwendig, sich über das System des lebenslangen Lernens immer wieder seiner persönlichen Sicherheit zu vergewissern, denn diese ist die kulturelle Voraussetzung dafür, das eigene Dasein auf viele Lebensjahre auszudehnen.

Für die Erwachsenenbildung besteht das pädagogische Dilemma darin, dass sie zum einen mit ihren vielfältigen Angeboten selbst Teil dieser Ausdehnungsbewegung ist: Lernen soll heute Erlebnischarakter haben und dazu beitragen, Baustein gesellschaftlicher Teilhabe und eines erfüllten Lebens zu sein. Andererseits steht die Erwachsenenbildung vor der Aufgabe, den o.a. zivilisatorischen Prozessschritt mit seinen Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Miteinander zu thematisieren und zu verhandeln. An einem Beispiel ausgedrückt: Erwachsenenbildungsorganisationen realisieren zahlreiche Varianten von Yoga-Praxis, die das Gute Leben aus salutogenetischer Perspektive gestalten helfen sollen. Sie sind gleichzeitig Institutionen, die interkulturell verschiedene Ausfassungen von „Gesundheit“ im Rahmen des Globalen Lernens reflektieren (und ihr Gesundheitsprogramm auf der Basis dieser Reflexion gegebenenfalls neu bewerten müßten).

Zu fragen wäre daher: Sind die aktuellen Konzepte des Lebenslangen Lernens angemessen, um das Gute Leben zu begleiten? Welche Alternativen können wir formulieren und umsetzen? Der Beitrag versucht, erste Antworten zu finden, die in einer „Endlichkeitspädagogik“ münden, bei der „gelernte Gelassenheit“ Katalysator eines neuen produktiven Unsicherheitsbewusstseins sein kann.