Geleitete Sterbemeditation: Es ist möglich, sich der eigenen Endlichkeit zu nähern

Eine „geleitete Sterbemeditation“ bildete regelmäßig den Abschluss der Seminarwoche „Betreuung sterbender Patienten“. Dabei wurden die zumeist liegenden und entspannten Teilnehmer/-innen mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Hierzu wird als Standard der Durchführung eine fiktive, eigene Krankengschichte erzählt, die sich über die verschiedenen Stationen einer unheilbaren Erkrankung entwickelt und zuletzt in dem eigenen Sterben und die Trauer darüber mündet. Nach Abschluss der Übung findet eine Aussprache und Nachbereitung der gesammelten Eindrücke statt.

Es waren Reinhard und Anne-Marie Tausch, die in Deutschland nicht nur die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie (aus dem Amerikanischem von Carl Rogers), sondern auch das Format der „geleiteten Sterbemeditationen“, anlässlich einer lebensbedrohlichen Erkrankung von Anne Marie Tausch bekannt machten. Ziel der Meditation ist es, die teilnehmenden Personen durch Visualisierung und Antizipation des eigenen Sterbeprozesses, sich mit ihrer Endlichkeit in heilsamer Weise zu konfrontierten. Durch diesen ontologischen Prozess, soll eine weiterreichende Qualität der Selbstreflexion für das eigene aber auch das Sterben Dritter erreicht werden. Insbesondere für berufliche Helfer, die in ihrer täglichen Arbeit sterbende Menschen begleiten, ist es von äußerster Wichtigkeit, dass diese durch weitgehende Befähigungen geschützt aber eben auch befähigt sind sterbende Menschen und deren Angehörige empathisch und fachlich zu begleiten.

Die geleitete Sterbemediation ist hierfür ein sehr hilfreiches, zugleich anspruchsvolles Verfahren, das in den 80er und 90er Jahren entwickelt und in dessen Wirkung in mehreren Studien untersucht bzw. evaluiert wurde. Zusammengefasst, entsteht ein ausgesprochen positives Ergebnispanorama, dass die Teilnehmer/-innen durch diese Erfahrung, in vielfältiger Weise gestärkt sieht. Auch in dessen längerfristigen Auswirkungen und dies sowohl für das persönliche Umfeld, als auch die berufliche Arbeit.

Dieser Befund entspricht den eigenen Erfahrungen als Initiator und Durchführender ungezählter „geleiteter Sterbemeditationen“, anlässlich oben erwähnter Seminare „Begleitung sterbender Patienten“. Durch eine entsprechende Beziehungsebene und einer vorausgehenden Instruktion, ist es möglich, dass die Teilnehmer/-innen die Intensität ihrer Einlassung steuern können. Freiwilligkeit ist natürlich eine weitere Voraussetzung. Die Nachbereitung der ca. halbstündigen Übung ist von besonderer Wichtigkeit und beansprucht eine weit längere Zeit als die Übung selbst. Alle Teilnehmer/-innen werden eingebunden und die gesammelten Erfahrungen berufsbezogen aber eben auch persönlich für die eigene Person und die eigene Familie, das Leben mit Kindern und Eltern reflektiert. Es ist unschwer sich vorzustellen, dass einzelne Teilnehmer auch mit Tränen und stärkeren Emotionen reagieren. Obwohl mit mehreren hundert Menschen (allesamt aus dem Patientenversorgungsumfeld) durchgeführt, ist es dabei nie zu eskalierenden Schwierigkeitslagen oder unheilsamen Konflikten gekommen. Im Gegenteil, ganz so wie es auch die Evaluationsstudien zeigen, wird die Übung von der Mehrzahl als (sehr) hilfreich, vielleicht sogar notwendig – insbesondere für diejenigen, die täglich mit Sterbenden arbeiten – beschrieben. Auch, um sich selber so „zu schützen“, dass dies nicht die Arbeit mit den Sterbenden beeinträchtigt.

Auch wenn der durch eine geleitete Sterbemeditation antizipierte Sterbe- und Trauerprozess nur mit erheblichen Einschränkungen für das „wirkliche Sterben“ übertragen werden kann, ermutigen die gesammelten Erfahrungen dahingehend, dass es sehr wohl möglich ist, sich der eigenen Endlichkeit behutsam, Lebenslagen- und der eigenen Biographie gerecht werdend, konstruktiv zu nähern. Weit näher und heilsamer, um uns mit dem Tod zu versöhnen und auf die eigene Endlichkeit einzustellen, als durch die unsäglichen allabendlichen filmisch-voyeuristischen Gewalt- bzw. Todesdarstellungen.

Zwischen 1. Januar 2022 und 12 April 2022 sind 19.773 Menschen in Deutschland an Covid-19 verstorben. Dies sind fast 8-mal mehr Menschen, als durch den Autoverkehr im letzten Jahr 2021 (2569).