Impf- und Wahlverweigerung

In einem Interview der Wochenschrift „der Freitag“ vom 27.10. bringt es der Soziologe Harald Welzer auf den Punkt: „Mit dieser Logik des permanenten Immer mehr wird man Endlichkeitsprobleme nicht bewältigen können“. Dem ist zuzustimmen.

Unter mühsamen Weg gelangt das Evidente zum Ausspruch, auf noch Steinigeren zur allgemeinen Anerkennung und das zielführende Programm notwendiger Umsetzungen ist bestenfalls in der Ferne auszumachen. Gerne nach 2030.

Diese Art des lavierten Vorgangs eint – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und auch die um die Endlichkeit. 

Der Klimaforschung und deren Vertretern, ist es zwischenzeitlich gelungen, eine breite Akzeptanz der Problemeinsicht, und auch wie mögliche Lösungspfade aussehen könnten, herzustellen. Mit solchen Veränderungsprozessen befasst sich maßgeblich die Einstellungs-Verhaltensforschung. Das vorliegende Wissen, wie aus einem Soll (Werte, Einstellung) ein Ist (Verhalten, Aktion) wird, nutzt das Marketing seit Jahrzehnten erfolgreich und begeistert aktuell die Märkte mit Hilfe des weltumspannenden Internets in so nie erhoffter Form, den sozialen Medien und einem mit diesem verbundenen Mikro-Group-Targeting.

Das (Marketing-) Wissen, wie in einem ersten Schritt Bedürfnisse, Werte und Einstellungen vermittelt und im darauffolgenden dann die entsprechenden Leistungen auch abverkauft werden, findet sich in der nun zwingend notwendigen Eindämmung, der durch menschliches Handeln entstandenen klimatischen Folgewirkungen, mit reichlich Verzögerung ein.

Die genaueren Begründungen, warum bis heute insgesamt wenig unternommen wurde, um die genaueren menschlichen (anthropologischen) Ursachen, in deren Folge der Klimawandel hat entstehen können, zu erschließen und zu bewerten, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zuletzt in dem Umstand begründet, dass die absehbaren Resultate als „geschäftsschädigend“ für den allgemeinen Konsumismus – der zuletzt die gesamten Ressourcen des Globus für sich beansprucht – eingeordnet werden.

Diese „Geschäftschädlichkeit“, die absehbare Marktbeeinträchtigung, die kritische Reflexion einer exportorientierten Volkswirtschaft im äußeren, findet ihre Entsprechung in der „Psychologie“ bzw. dem Verhalten des Einzelnen.

Auch das Wissen um die Endlichkeit und Begrenztheit des eigenen Lebens und „der Dinge“: NASA-Forscher haben aktuell ausgerechnet, dass dem Planeten Erde in weiter Ferne auch der Sauerstoff ausgehen wird, erscheint selbst wenn nur hypothetisch oder „vorbewusst“ antizipiert, geschäfts- und umsatztoxisch. Das Versprechen eines wenn schon nicht ewig, dann doch zumindest 100-jährigen Lebens attraktiv. Das Ziel ist längst formuliert, die Produkte auf den Weg gebracht.

Auch wenn der Bogen weit gezogen und die These steil: ab einer gewissen Präparationstiefe der bestehenden Gemengelage – warum das Offensichtliche nicht hinreichend erkannt wird und wenn, dann doch nicht gehandelt oder doch sehr viel zu spät, auch in der Situation des Impf- und Wahlverhaltens sichtbar wird.

Eine jeweils viel zu große Gruppe verweigert sich eines wichtigen, vernünftigen Verhaltens und dies „folgenlos“ bzw. die notwendige kritische und zeitnahe Aufarbeitung dieses „Nichtverhaltens“ bleibt aus.

Dabei nimmt im Fall der Nichtwähler, deren Gruppe mit 23,4% fast gleich groß ist, wie die der beiden zukünftigen Ampel-Regierungsparteien Grüne (14,8%) und FDP (11,5%). Die „Gesamtgesellschaft“, die Medien, die politischen Akteure nehmen diese Verweigerung nicht wirklich zur Kenntnis. Als könne solch eine elementare demokratische Verweigerung grund- und folgenlos für die Gesellschaft bleiben.

Ähnlich groß ist die Gruppe der Impfverweigerer. Eine Gruppe, die sich in insgesamt offensichtlich nicht bewusst ist, wie sehr sie ihre frühzeitige Endlichkeit aber eben auch die von unbeteiligten Dritten, vor allem auch (noch) die, von Schwächeren provozieren.

Beide Gruppen – bei aller Heterogenität und Unterschiedlichkeit – eint, dass sich die „aufgeklärte Gesellschaft“ und auch die „öffentlich Verpflichteten“ in ihren Interaktionen mit diesen vermeintlichen Randgruppen, an dem vorläufigen Ende einer problematischen Entwicklung befinden, die sich nicht nur lange abzeichnete und die zunehmend durch Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit und auch Aggressivität gekennzeichnet ist.

Die bestehende Situation muss überwunden werden. Die gemeinsam geführte Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie, die bereits weltweit Verstorbenen, und die absehbar entstehenden persönlichen und gesellschaftlichen Verluste geliebter Menschen, könnten hierfür eine Chance bieten.

Wer kann solche Gespräche aufnehmen?