Elmar Nass, Prof. Dr. Dr.

Theologie-Ethik

Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik, Soziale Marktwirtschaft, Technikethik (im Gesundheitswesen), Wertedialog der Weltanschauungen

Katholischer Priester, 55 Jahre, Freund von Menschen, Schöpfung, Leben und Ewigkeit, wohnt in Köln

Ausbildung Bankkaufmann, später Jugendseelsorger, Promotionen zu christlicher Wirtschaftsethik (Theologie) und zum gerechten Sozialstaat (Sozialökonomik), Habilitation zum Transfer sozialethischer Theorie in die gesellschaftliche Praxis (Philosophie), acht Jahre Professur Wirtschafts- und Sozialethik an der Gesundheitshochschule Fürth, nun Lehrstuhlinhaber Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Dialog in Köln.


Kapitel: „Der Mensch zwischen Hybris, Humanität und Hoffnung – Sozialethische Konsequenzen einer Anthropologie der (Un)Endlichkeit“


Gesellschaftliches Zusammenleben ist wesentlich geprägt vom Menschenbild. Deshalb beginnt jede Sozialethik mit der Frage nach dem Menschen. Anthropologie als Wertefundament hat dabei so viele Gesichter wie es Religionen und Weltanschauungen gibt, und noch mehr. Die Conditio humana steht dabei stets im Spannungsfeld zwischen real erlebter Endlichkeit und erträumter Unendlichkeit. Dabei drängen sich die vier großen kantischen Fragen auf, die neben Wissen, Sollen und Hoffen letztlich darum kreisen: Was ist der Mensch?

Abschiedsriten nach dem Tod, die bewusst mit der Endlichkeit konfrontieren, gehören in der Evolutionsgeschichte zu wesentlichen Merkmalen des Menschseins. Solches Bewusstsein zu verdrängen (durch Tabuisierung des Todes, das Abschieben Sterbender, durch assistive Technologien im Alter – AAL –, die uns Gesundheit vorgaukeln u.a.) oder das Phänomen ganz zu überwinden (Cyborgs, E-Personalitäten, transhumanistische Ideen von hochladbarem Bewusstsein u.a.) ist ein machtgetriebener Fluchtinstinkt unbegrenzter Machbarkeit, mit dem sich Menschen das Leben und das Humanum überhaupt verfügbar machen wollen. Vermeintlich entgrenztes Leben im Hier und Jetzt als Suggestion oder Utopie kann mit Leiden, Sterben und Tod nicht mehr menschlich umgehen. Solche Hybris bleibt sprachlos gegenüber realer Endlichkeit und muss sie als defizitäres Makel erleben. Krankes und sterbendes Menschsein verliert seine Würde: mit entsprechenden Konsequenzen für unser Zusammenleben. Dieser Weg vermeintlicher Pfadabhängigkeit ist nicht alternativlos. Es bleibt uns die Freiheit der Korrektur. Einer möglichen Erosion der Humanität steht die evolutionär uns gegebene bewusste Konfrontation mit unserer Endlichkeit gegenüber. Die ausdrückliche Annahme dieser Conditio humana lehnt die angestrebte transhumanistische Überwindung des Humanum ab. Solche Anthropologie ersetzt zugleich ein Fluchtgefühl der Verdrängung durch das Bewusstsein ganzheitlichen Menschseins.

Bewusste Endlichkeit wertet den Moment im Leben wie den Moment des Lebens mit all seinen Facetten auf und prägt auch so maßgeblich das Gesicht unseres Miteinanders. Sie schaut Leid und Tod ins Auge, erkennt gerade im Kranken und im Sterbenden den Schatz unbedingter Würde und ermöglicht erst eine stimmige Moral der Vergebung und Nächstenliebe. Mit der nur so sinnvollen Frage nach dem „Danach“ öffnet sich dem Menschen eine Perspektive der Hoffnung, die zugleich mutig und demütig macht. Was also ist das anthropologische Fundament für unser Zusammenleben? Mein Plädoyer: Lieber Hin- als Wegschauen, lieber human Mensch als Maschine-Sein und lieber Hoffnung als Hybris.