Stand der Dinge

Im zurückliegenden Jahr 2021 verstarben 1.016.899 Menschen in Deutschland. Dies ist eine Zunahme von 3,2 % gegenüber dem Jahr 2020. Eine Steigerung die nicht zuletzt auch auf die pandemische Übersterblichkeit rückzuführen ist. Die Bevölkerung ist mit 83,2 Millionen weitgehend konstant geblieben. Den bestehenden Trend zunehmender stationärer Versorgung fortschreibend, ist davon auszugehen, dass 2021 ca. 50% im Krankenhaus, ca. 25-30% zu Hause bzw. in einem Pflegeheim und von diesen 2% in einem Hospiz, verstorben sind. Genauere Aussagen sind – abgesehen von den Krankenhäusern – nicht möglich, da Deutschland, als einem von wenigen westlichen Ländern, ein hierfür notwendiges Sterbeortregister fehlt. Unter den Randbedingungen der Pandemie, z.B. dem strengen Hygieneregime, hat sich zuletzt nach Ansicht verschiedener Experten und auch Betroffenen, die Versorgungssituation der schwerstkranken und sterbenden Bewohner / Patienten z.T. dramatisch verschlechtert und dies keinesfalls nur für die an Corona Infizierten. So wurden etwa auch onkologisch Erkrankte z.T. hart getroffen. Nicht realisierte therapeutische sowie ehrenamtliche Angebote, eingeschränkte persönliche Bewegungsfreiheit, fehlende Kontakte zu Mitpatienten:innen/Bewohner:innen, vorsichtige, immer mit Mundschutz versehene und Distanz wahrende berufliche Helfer, Kontrollregime und Prozeduren des Infektionsnachweises und vor allem stark eingeschränkte oder sogar gänzlich ausgesetzte Besuchsmöglichkeiten durch Angehörige und andere soziale Partner verdeutlichen die soziale aber auch therapeutische Deprivation dramatisch. Einige der Experten:innen sprechen von einem regelrechten Rollback, hin zu der vermeintlich längst überwundenen Verwaltungshoheit des Sterbens durch die öffentliche Administration aber auch die vollziehenden Institutionen.

Bei sorgfältiger Beschreibung des Verlaufs der letzten Lebensphase wird deutlich, dass die eigentlich von allen Seiten gewünschte partizipative Teilhabe der Betroffenen am sozialen Leben, nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelingen kann. Es ist aber Tatsache, dass der Trend der Sterbekultur bzw. Praxis in Deutschland genau in die andere Richtung der Verleugnung, Professionalisierung, Externalisierung und auch Trivialisierung bzw. Verkitschung (man denke nur an die allabendlichen Fernsehtoten) geht. Eigentlich passend dazu, wie „cool” unsere Gesellschaft mit dem durch Corona verursachten Sterben und dem damit verbundenen menschlichen Leid umgeht.

Dabei sind es nicht nur die Verstorbenen und deren Angehörige, die es zu bemitleiden gilt, sondern auch die beruflichen Helfer und Einrichtungen die für die Gesellschaft „nahezu geräuschlos” die nun auch noch zusätzliche tägliche Übersterblichkeit „abarbeiten” (Zahl der an Corona Verstorbenen in Deutschland am 10.5.2022 136.914). Wer erfahren will, wie groß die Mischung aus Müdigkeit und Erschöpfung, Wut und Resignation ist, braucht nur mit den Mitarbeitern der betroffenen Arbeitsbereiche ins Gespräch zu kommen.

So scheint die Abspaltung der eigenen Endlichkeit nie gründlicher, folgenloser und erfolgreicher möglich gewesen zu sein als dies gegenwärtig der Fall ist. Die gelungene Verdrängung kann geradezu als Markenkern und Motor unserer Zeit, dem Anthropozän, identifiziert werden. Nicht unerhebliche Teile der Medizin, der Life-Science Community und der mit diesen verbundenen Pharma- und Tec-Unternehmen nehmen hierbei nur allzu häufig eine Rolle ein, die nicht nur entlang ethischer Kriterien einer dringenden Korrektur bedarf.