Warum wir eine Bestimmung dessen, was den Menschen und sein Verhalten begründet, zwingender denn je benötigen

Wenn es wahr ist, dass sich das Anthropozän maßgeblich durch kumulierte, sich wechselseitig beeinflussende Folge-, Neben- und Fernwirkungen menschlichen bzw. zivilisatorischen Verhaltens begründet, muss der Fokus weit stärker als bisher auf den Menschen und dessen Verhalten gerichtet werden.

Auch weil der Erfolg in der Auseinandersetzung mit den Bedrohungslagen des Klimawandels, dem erkennbaren Biodiversitätsverlust, den aktuellen Erfahrungen eines globalen Krankheitsgeschehen, uswf. – in deren Ursachenermittlung und Beeinflussungsprinzipien – so überaus wichtig ist, müssen diese zu einem Erfolg führen. Demnach ist die Beantwortung der Fragen, was wir realistischer Weise von dem Einzelnen, viel mehr noch von den Gesellschaften, deren Wirtschaftsformate und Zivilisation erwarten können, von größter Bedeutung.

Um das Bild der Physiologie zu verwenden, handelt es sich – trotz aller bereits messbaren pathologischen Auswirkungen des Klimawandels – doch nur um ein „Symptom“.

So wie andere potentielle Bedrohungsszenarien – welche sich aus den natürlichen Rückgebundenheiten des Raumschiffs Erde für dessen menschliche Bewohner ergeben – wird auch bei Nichtbeherrschung der Symptome, wie dem Klimawandel, der Planet als geologscher Ort fortexistieren, nur eben zahlreiche Arten und Lebensformen nicht.

Da es aber das erklärte Ziel sein sollte, die Dinge ursächlich zu kurieren, muss ein Verfahren auf den Weg gebracht werden, dass geeignet ist, in einem ersten Schritt die menschlichen Ursächlichkeiten zu diagnostizieren, um danach eine evidenzbasierte Therapie auf den Weg zu bringen. Damit stellt sich die Frage nach der Art des benötigten Wissens und Erkenntnismethoden, um zu diesen Gültigkeiten zu gelangen.

Was die hierzu in Frage kommenden Wissenschaften betrifft, wird rasch erkennbar, dass unterschiedliche Kenntnisse und Befähigungen benötigt werden: Psychologie, Sozialwissenschaft, Soziologie, Kultur- und Historische Wissenschaft, Medizin, Biologie (Genetik), Ethologie, Ethnologie, Philosophie, Theologie etc.

Allein durch diese – weder vollständige noch ausdifferenzierte Sammlung – lässt sich erahnen, warum die doch offensichtliche Frage nach den menschlichen Ursachen unserer Situation bisher nicht in der gebotenen Notwendigkeit, Dringlichkeit und Differenziertheit gestellt wurde.

Keine wissenschaftliche Disziplin kann die diagnostischen Klärungen und notwendigen Interventionen auch nur annährend alleine, und nur aus eigener Erkenntnis erreichen. Einzelne Wissensfelder und mit diesen verbundene Argumente sind natürlich gültig und sogar notwendig und zugleich nicht hinmreichend um die notwendige Analyse und Kur allein zu identifizieren.

Das reduktive Prinzip als Erfolgs- und Nebenwirkungsmotor (s.o.) zugleich, scheint es den betroffenen Disziplinen und Akteuren bisher nicht zu ermöglichen, in der zwingend gebotenen Weise zusammenzuarbeiten bzw. sich das notwendige Gehör im aktuellen Diskurs in dem es nach Einschätzung vieler um alles geht, zu verschaffen.

Dabei haben es die Physiker, Geowissenschaftler und andere Naturwissenschaftler durchaus vorgemacht wie solch ein Prozess – mit sehr langem Atem und Ergebnissen wie anlässlich des COP 26 (sic) in Glasgow 2021 – aussehen kann. 

Wie hilfreich wäre es für dessen Auftraggeber (alle aufgeklärten Personen und Nationen) und Teilnehmer – wenn die dort (wieder einmal) entstandenen Hoffnungen, Absichtserklärungen und auch Programmatiken – die einmal mehr auf tönernen Beinen bis zum COP 27 stehen – durch qualifizierte, anthropologisch begründete Machbarkeitsanalysen ergänzt würden?  

Benötigt wird eine zeitnahe Anthropologie, deren Zielstellung, Programme und Ergebnisse es möglich machen, dass sich unsere Gesellschaften realistisch mit den Herausforderungen der kommenden Jahre – die absehbar schwer werden – vorausschauend und wirkungsvoll auseinandersetzen können.

Nur so kann der „palliative Fall“ verhindert werden!